Götterdämmerung | |||||||||||||||||||
3. Tag des Bühnenfestspiels | |||||||||||||||||||
«Der Ring des Nibelungen» | |||||||||||||||||||
Entstehung: 1848-1874 | |||||||||||||||||||
Première: Bayreuth 1876 | |||||||||||||||||||
Vorspiel | |||||||||||||||||||
Auf dem Walkürenfelsen | |||||||||||||||||||
Auf dem Walkürenfelsen. Die Szene ist dieselbe wie am Schlusse des zweiten Tages. Nacht. Aus der Tiefe des Hintergrundes leuchtet Feuerschein. Die drei Nornen, hohe Frauengestalten in langen, dunklen und schleierartigen Faltengewändern. Die erste – älteste – lagert im Vordergrunde rechts unter der breitästigen Tanne; die zweite – jüngere – ist an einer Steinbank vor dem Felsengemache hingestreckt; die dritte – jüngste – sitzt in der Mitte des Hintergrundes auf einem Felssteine des Höhensaumes. Eine Zeitlang herrscht düsteres Schweigen. | 10 | 8 | 102 | 61 | 66 | Erwachen Erda Wellen Schicksal Seil | |||||||||||||
Erste Norn | ohne sich zu bewegen | ||||||||||||||||||
Welch Licht leuchtet dort? | |||||||||||||||||||
Zweite Norn | Dämmert der Tag schon auf? | ||||||||||||||||||
Dritte Norn | Loges Heer lodert feurig um den Fels. | 42 | Loge | ||||||||||||||||
Noch ist’s Nacht. | 66 | Seil | |||||||||||||||||
Was spinnen und singen wir nicht? | |||||||||||||||||||
Zweite Norn | zu der ersten | ||||||||||||||||||
Wollen wir spinnen und singen, | |||||||||||||||||||
woran spannst du das Seil? | |||||||||||||||||||
Erste Norn | erhebt sich, während sie ein goldenes Seil von sich löst und mit dem einen Ende es an einen Ast der Tanne knüpft | 66 | Seil | ||||||||||||||||
So gut und schlimm es geh’, | 66 | ||||||||||||||||||
schling’ ich das Seil und singe. | |||||||||||||||||||
An der Weltesche wob ich einst, | 66 | Seil | |||||||||||||||||
da groß und stark dem Stamm entgrünte | |||||||||||||||||||
weihlicher Äste Wald. | |||||||||||||||||||
Im kühlen Schatten rauscht’ ein Quell, | |||||||||||||||||||
Weisheit raunend rann sein Gewell’; | |||||||||||||||||||
da sang ich heil’gen Sinn. | |||||||||||||||||||
Ein kühner Gott | |||||||||||||||||||
trat zum Trunk an den Quell; | |||||||||||||||||||
seiner Augen eines | 90 | Walhall | |||||||||||||||||
zahlt’ er als ewigen Zoll. | 90 | ||||||||||||||||||
Von der Weltesche | |||||||||||||||||||
brach da Wotan einen Ast; | |||||||||||||||||||
eines Speeres Schaft | 83 | Vertrag | |||||||||||||||||
entschnitt der Starke dem Stamm. | |||||||||||||||||||
In langer Zeiten Lauf | |||||||||||||||||||
zehrte die Wunde den Wald; | |||||||||||||||||||
falb fielen die Blätter, | 22 | Götterdämmerung | |||||||||||||||||
dürr darbte der Baum, | |||||||||||||||||||
traurig versiegte des Quelles Trank: | |||||||||||||||||||
trüben Sinnes ward mein Gesang. | |||||||||||||||||||
Doch, web’ ich heut’ | 66 | Seil | |||||||||||||||||
an der Weltesche nicht mehr, | 66 | ||||||||||||||||||
muß mir die Tanne | 66 | ||||||||||||||||||
taugen zu fesseln das Seil: | 66 | ||||||||||||||||||
singe, Schwester, – dir werf’ ich’s zu. | |||||||||||||||||||
Weißt du, wie das wird? | 76 | Todesklage | |||||||||||||||||
Zweite Norn | windet das zugeworfene Seil um einen hervorspringenden Felsstein am Eingange des Gemaches | ||||||||||||||||||
Treu beratner Verträge Runen | |||||||||||||||||||
schnitt Wotan in des Speeres Schaft: | 103 | Weltesche | |||||||||||||||||
den hielt er als Haft der Welt. | 103 | ||||||||||||||||||
Ein kühner Held | 103 | ||||||||||||||||||
zerhieb im Kampfe den Speer; | |||||||||||||||||||
in Trümmer sprang | 84 | Vertragsschutz | |||||||||||||||||
der Verträge heiliger Haft. | 84 | ||||||||||||||||||
Da hieß Wotan Walhalls Helden | 90 | Walhall | |||||||||||||||||
der Weltesche welkes Geäst | 22 | Götterdämmerung | |||||||||||||||||
mit dem Stamm in Stücke zu fällen. | 22 | ||||||||||||||||||
Die Esche sank; | 22 | ||||||||||||||||||
ewig versiegte der Quell! | 22 | ||||||||||||||||||
Fessle ich heut’ | 66 | Seil | |||||||||||||||||
an den scharfen Fels das Seil: | 66 | ||||||||||||||||||
singe, Schwester, – dir werf’ ich’s zu. | |||||||||||||||||||
Weißt du, wie das wird? | 76 | Todesklage | |||||||||||||||||
Dritte Norn | das Seil auffangend und dessen Ende hinter sich werfend | ||||||||||||||||||
Es ragt die Burg, von Riesen gebaut: | |||||||||||||||||||
mit der Götter und Helden heiliger Sippe | |||||||||||||||||||
sitzt dort Wotan im Saal. | 22 | Götterdämmerung | |||||||||||||||||
Gehau’ner Scheite hohe Schicht | 103 | Weltesche | |||||||||||||||||
ragt zuhauf rings um die Halle: | 103 | ||||||||||||||||||
die Weltesche war dies einst! | |||||||||||||||||||
Brennt das Holz | |||||||||||||||||||
heilig brünstig und hell, | |||||||||||||||||||
sengt die Glut | |||||||||||||||||||
sehrend den glänzenden Saal: | 83 | Vertrag | |||||||||||||||||
der ewigen Götter Ende | 90 | Walhall | |||||||||||||||||
dämmert ewig da auf. | 90 | ||||||||||||||||||
Wisset ihr noch, | 61 | Schicksal | |||||||||||||||||
so windet von neuem das Seil; | 66 | Seil | |||||||||||||||||
von Norden wieder werf’ ich’s dir nach. | 66 | ||||||||||||||||||
Sie wirft das Seil der zweiten Norn zu | |||||||||||||||||||
Zweite Norn | schwingt das Seil der ersten hin, die es vom Zweige löst und es an einen andern Ast wieder anknüpft | 66 | Seil | ||||||||||||||||
Spinne, Schwester, und singe! | |||||||||||||||||||
Erste Norn | nach hinten blickend | ||||||||||||||||||
Dämmert der Tag? | 42 | Loge | |||||||||||||||||
Oder leuchtet die Lohe? | 42 | ||||||||||||||||||
Getrübt trügt sich mein Blick; | 42 | ||||||||||||||||||
nicht hell eracht’ ich das heilig Alte, | 42 | ||||||||||||||||||
da Loge einst entbrannte in lichter Brunst. | 42 | ||||||||||||||||||
Weißt du, was aus ihm ward? | 76 | Todesklage | |||||||||||||||||
Zweite Norn | das zugeworfene Seil wieder um den Stein windend | ||||||||||||||||||
Durch des Speeres Zauber | 83 | Vertrag | |||||||||||||||||
zähmte ihn Wotan; | 83 | ||||||||||||||||||
Räte raunt’ er dem Gott. | 42 | Loge | |||||||||||||||||
An des Schaftes Runen, | 42 | ||||||||||||||||||
frei sich zu raten, | 42 | ||||||||||||||||||
nagte zehrend sein Zahn: | 42 | ||||||||||||||||||
da, mit des Speeres | 83 | Vertrag | |||||||||||||||||
zwingender Spitze | 83 | ||||||||||||||||||
bannte ihn Wotan, | 42 | Loge | |||||||||||||||||
Brünnhildes Fels zu umbrennen. | 42 | ||||||||||||||||||
Weißt du, was aus ihm wird? | 76 | Todesklage | |||||||||||||||||
Dritte Norn | das zugeschwungene Seil wieder hinter sich werfend | ||||||||||||||||||
Des zerschlagnen Speeres | 103 | Weltesche | |||||||||||||||||
stechende Splitter | 103 | ||||||||||||||||||
taucht einst Wotan | 103 | ||||||||||||||||||
dem Brünstigen tief in die Brust: | 103 | ||||||||||||||||||
zehrender Brand zündet da auf; | |||||||||||||||||||
den wirft der Gott in der Weltesche | 90 | Walhall | |||||||||||||||||
zuhauf geschichtete Scheite. | 90 | ||||||||||||||||||
Sie wirft das Seil zurück, die zweite Norn windet es auf und wirft es der ersten wieder zu | |||||||||||||||||||
Zweite Norn | Wollt ihr wissen, | 62 | Schlaf | ||||||||||||||||
wann das wird? | 61 | Schicksal | |||||||||||||||||
Schwinget, Schwestern, das Seil! | |||||||||||||||||||
Erste Norn | das Seil von neuem anknüpfend | ||||||||||||||||||
Die Nacht weicht; | |||||||||||||||||||
nichts mehr gewahr’ ich: | |||||||||||||||||||
des Seiles Fäden find’ ich nicht mehr; | |||||||||||||||||||
verflochten ist das Geflecht. | |||||||||||||||||||
Ein wüstes Gesicht wirrt mir wütend den Sinn: | 59 | 6 | 54 | Ring Entsagung Rheingold Rheintöchtersang | |||||||||||||||
das Rheingold raubte Alberich einst: | 57 | ||||||||||||||||||
weißt du, was aus ihm ward? | 57 | ||||||||||||||||||
Zweite Norn | mit mühevoller Hand das Seil um den zackigen Stein des Gemaches windend | ||||||||||||||||||
Des Steines Schärfe schnitt in das Seil; | 59 | Ring | |||||||||||||||||
nicht fest spannt mehr der Fäden Gespinst; | 59 | ||||||||||||||||||
verwirrt ist das Geweb’. | 59 | ||||||||||||||||||
Aus Not und Neid | 66 | Seil | |||||||||||||||||
ragt mir des Niblungen Ring: | 66 | ||||||||||||||||||
ein rächender Fluch | 99 | Wehe | |||||||||||||||||
nagt meiner Fäden Geflecht. | 21 | Goldherrschaft | |||||||||||||||||
Weißt du, was daraus wird? | 65 | Schwert | |||||||||||||||||
Dritte Norn | das zugeworfene Seil hastig fassend | ||||||||||||||||||
Zu locker das Seil, mir langt es nicht. | |||||||||||||||||||
Soll ich nach Norden neigen das Ende, | 29 | Horn | |||||||||||||||||
straffer sei es gestreckt! | |||||||||||||||||||
Sie zieht gewaltsam das Seil an: dieses reißt in der Mitte | |||||||||||||||||||
Es riß! | 13 | Fluch | |||||||||||||||||
Zweite Norn | Es riß! | 13 | |||||||||||||||||
Erste Norn | Es riß! | 13 | |||||||||||||||||
Erschreckt sind die drei Nornen aufgefahren und nach der Mitte der Bühne zusammengetreten: sie fassen die Stücke des zerrissenen Seiles und binden damit ihre Leiber aneinander | |||||||||||||||||||
Die drei Nornen | Zu End’ ewiges Wissen! | ||||||||||||||||||
Der Welt melden Weise nichts mehr. | 13 | Fluch | |||||||||||||||||
Hinab! Zur Mutter! Hinab! | 62 | Schlaf | |||||||||||||||||
Sie verschwinden | 61 | Schicksal | |||||||||||||||||
Tagesgrauen. Wachsende Morgenröte, immer schwächeres Leuchten des Feuerscheines aus der Tiefe |