| Die Meistersinger von Nürnberg |
| Entstehung: 1845-1867 |
| Première: München 1868 |
| Erster Aufzug |
| Erste Szene |
| Die Bühne stellt das Innere der Katharinenkirche in schrägem Durchschnitt dar. Von dem Hauptschiff, welches links ab dem Hintergrunde zu sich ausdehnend anzunehmen ist, sind nur noch die letzten Reihen der Kirchenstuhlbänke sichtbar,- den Vordergrund nimmt der freie Raum vor dem Chor ein; dieser wird später durch einen schwarzen Vorhang gegen das Schiff zu gänzlich geschlossen. In der letzten Reihe der Kirchenstühle sitzen Eva und Magdalene; Walther von Stolzing steht, in einiger Entfernung, zur Seite an eine Säule gelehnt, die Blicke auf Eva heftend, die sich mit stummem Gebärdenspiel wiederholt zu ihm umkehrt. |
Choral der Gemeinde | Da zu dir der Heiland kam, |
| Walther drückt durch Gebärde eine schmachtende Frage an Eva aus. |
| willig deine Taufe nahm, |
| Evas Blick und Gebärde sucht zu antworten; doch beschämt schlägt sie das Auge wieder nieder. |
| weihte sich dem Opfertod, |
| Walther zärtlich, dann dringender. |
| gab er uns des Heils Gebot: |
| Eva, Walther schüchtern abweisend, aber schnell wieder seelenvoll zu ihm aufblickend. |
| daß wir durch ein’ Tauf’ uns weih’n, |
| Walther entzückt, höchste Beteuerungen, Hoffnung. |
| seines Opfers wert zu sein. |
| Eva lächelnd, dann beschämt die Augen senkend. Walther dringend, aber schnell sich unterbrechend. |
| Edler Täufer, Christ’s Vorläufer! |
| Walther nimmt die dringende Gebärde wieder auf, mildert sie aber sogleich, um sanft um eine Unterredung zu bitten. |
| Nimm uns freundlich an, dort am Fluß Jordan. |
| Die Gemeinde erhebt sich, wendet sich dem Ausgange zu und verläßt unter dem Nachspiel allmählich die Kirche. Walther heftet in höchster Spannung seinen Blick auf Eva, welche ihren Sitz ebenfalls verläßt und, von Magdalene gefolgt, langsam in seine Nähe kommt. Da Walther Eva sich nähern sieht, drängt er sich gewaltsam durch die Kirchgänger zu ihr.
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Walther | leise, doch feurig zu Eva: |
| Verweilt! – Ein Wort! Ein einzig Wort!
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Eva | sich schnell zu Magdalene umwendend: |
| Mein Brusttuch! Schau! Wohl liegt’s im Ort?
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Magdalene | Vergeßlich’ Kind! Nun heißt es: |
| such! |
| Sie kehrt nach den Kirchenstühlen zurück.
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Walther | Fräulein! Verzeiht der Sitte Bruch! |
| Eines zu wissen, eines zu fragen, |
| was müßt’ ich nicht zu brechen wagen? |
| Ob Leben oder Tod, ob Segen oder Fluch? |
| Mit einem Worte sei mir’s vertraut: |
| mein Fräulein sagt –
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Magdalene | zurückkommend: |
| Hier ist das Tuch.
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Eva | O weh! Die Spange!
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Magdalene | Fiel sie wohl ab? |
| Sie geht suchend abermals nach hinten.
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Walther | Ob Licht und Lust oder Nacht und Tod? |
| Ob ich erfahr, wonach ich verlange, |
| ob ich vernehme, wovor mir graut: |
| Mein Fräulein, sagt –
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Magdalene | wieder zurückkommend: |
| Da ist auch die Spange. |
| Komm, Kind! Nun hast du Spang’ und Tuch ... |
| O weh! Da vergaß ich selbst mein Buch! |
| Sie geht nochmals eilig nach hinten.
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Walther | Dies eine Wort, Ihr sagt mir’s nicht? |
| Die Silbe, die mein Urteil spricht? |
| Ja oder nein! – ein flücht’ger Laut: |
| mein Fräulein sagt, |
| entschlossen und hastig |
| seid Ihr schon Braut?
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Magdalene | die wieder zurückgekehrt ist und sich vor Walther verneigt: |
| Sieh da, Herr Ritter, |
| wie sind wir hochgeehrt: |
| mit Evchens Schutze habt Ihr Euch gar beschwert? |
| Darf den Besuch des Helden |
| ich Meister Pogner melden?
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Walther | bitter, leidenschaftlich: |
| Oh, betrat ich doch nie sein Haus!
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Magdalene | Ei, Junker! Was sagt Ihr da aus? |
| In Nürnberg eben nur angekommen, |
| wart Ihr nicht freundlich aufgenommen? |
| Was Küch’ und Keller, Schrein und Schrank |
| Euch bot, verdient’ es keinen Dank?
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Eva | Gut Lenchen, ach, das meint er ja nicht. |
| Doch von mir wohl wünscht er Bericht. |
| Wie sag ich’s schnell? Versteh’ ich’s doch kaum! |
| Mir ist, als wär’ ich gar wie im Traum!- |
| Er frägt – ob ich schon Braut?
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Magdalene | heftig erschrocken: |
| Hilf Gott! Sprich nicht so laut! |
| Jetzt laß uns nach Hause gehn; |
| wenn uns die Leut’ hier sehn!
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Walther | Nicht eh’r, bis ich alles weiß!
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Eva | zu Magdalene: |
| ’s ist leer, die Leut’ sind fort.
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Magdalene | Drum eben wird mir heiß! |
| Herr Ritter, an andrem Ort! |
| David tritt aus der Sakristei ein und macht sich darüber her, die, schwarzen Vorhänge zu schließen.
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Walther | dringend: |
| Nein! Erst dies Wort!
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Eva | bittend zu Magdalene: |
| Dies Wort!
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Magdalene | die sich bereits umgewendet, erblickt David, hält an und ruft zärtlich für sich: |
| David? Ei! David hier? |
| Sie wendet sich wieder zurück, und zu Walther.
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Eva | zu Magdalene: |
| Was sag ich? Sag du’s nür!
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Magdalene | zerstreut, öfter nach David sich umsehend: |
| Herr Ritter, was Ihr die Jungfer fragt, |
| das ist so leichtlich nicht gesagt; |
| fürwahr ist Evchen Pogner Braut
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Eva | lebhaft unterbrechend: |
| Doch hat noch keiner den Bräut’gam erschaut.
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Magdalene | Den Bräut’gam wohl noch niemand kennt, |
| bis morgen ihn das Gericht ernennt, |
| das dem Meistersinger erteilt den Preis –
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Eva | enthusiastisch: |
| Und selbst die Braut ihm reicht das Reis.
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Walther | verwundert: |
| Dem Meistersinger?
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Eva | bang: |
| Seid Ihr das nicht?
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Walther | Ein Werbgesang?
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Magdalene | Vor Wettgericht.
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Walther | Den Preis gewinnt?
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Magdalene | Wen die Meister meinen.
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Walther | Die Braut dann wählt?
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Eva | sich vergessend: |
| Euch oder keinen! |
| Walther wendet sich, in großer Erregung auf und ab gehend, zur Seite.
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Magdalene | sehr erschrocken: |
| Was, Evchen! Evchen! Bist du von Sinnen?
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Eva | Gut’ Lene, laß mich den Ritter gewinnen!
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Magdalene | Sahst ihn doch gestern zum erstenmal?
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Eva | Das eben schuf mir so schnelle Qual, |
| daß ich schon längst ihn im Bilde sah! |
| Sag, trat er nicht ganz wie David nah?
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Magdalene | höchst verwundert: |
| Bist du toll? Wie David?
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Eva | Wie David im Bild.
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Magdalene | Ach, meinst du den König mit der Harfen |
| und langem Bart in der Meister Schild?
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Eva | Nein! Der, dess’ Kiesel den Goliath warfen, |
| das Schwert im Gurt, die Schleuder zur Hand, |
| das Haupt von lichten Locken umstrahlt, |
| wie ihn uns Meister Dürer gemalt.
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Magdalene | laut seufzend: |
| Ach, David! David!
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David | der hinausgegangen und jetzt wieder zurückkommt, ein Lineal im Gürtel und ein großes Stück weißer Kreide an einer Schnur schwenkend: |
| Da bin ich! Wer ruft?
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Magdalene | Ach, David! Was Ihr für Unglück schuft! |
| Für sich |
| Der liebe Schelm! Wüßt’ er’s noch nicht? |
| Laut |
| Ei seht, da hat er uns gar verschlossen?
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David | zärtlich: |
| Ins Herz Euch allein!
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Magdalene | feurig: |
| Das treue Gesicht! Ei sagt! |
| Was treibt Ihr hier für Possen?
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David | Behüt es, Possen? Gar ernste Ding’! |
| Für die Meister hier richt’ ich den Ring.
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Magdalene | Wie? Gäb’ es ein Singen?
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David | Nur Freiung heut: |
| der Lehrling wird da losgesprochen, |
| der nichts wider die Tabulatur verbrochen; |
| Meister wird, wen die Prob’ nicht reut.
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Magdalene | Da wär’ der Ritter ja am rechten Ort. – |
| Jetzt, Evchen, komm, wir müssen fort.
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Walther | schnell sich zu den Frauen wendend: |
| Zu Meister Pogner laßt mich euch geleiten.
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Magdalene | Erwartet den hier; er ist bald da. |
| Wollt Ihr Evchens Hand erstreiten, |
| rückt Ort und Zeit das Glück Euch nah. |
| Zwei Lehrbuben kommen dazu und tragen Bänke herbei. |
| Jetzt eilig von hinnen!
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Walther | Was soll ich beginnen?
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Magdalene | Laßt David Euch lehren, die Freiung begehren. – |
| Davidchen, hör, mein lieber Gesell, |
| den Ritter hier bewahr’ mir wohl zur Stell’! |
| Was Fein’s aus der Küch’ bewahr’ ich für dich; |
| und morgen begehr’ du noch dreister, |
| wird hier der Junker heut’ Meister. |
| Sie drängt Eva zum Fortgehen.
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Eva | zu Walther: |
| Seh’ ich Euch wieder?
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Walther | sehr feurig: |
| Heut abend, gewiß! – |
| Was ich will wagen, wie könnt’ ich’s sagen? |
| Neu ist mein Herz, neu mein Sinn, |
| neu ist mir alles, was ich beginn’. |
| Eines nur weiß ich, eines begreif’ ich: |
| Mit allen Sinnen Euch zu gewinnen! |
| Ist’s mit dem Schwert nicht, muß es gelingen, |
| gilt es als Meister Euch zu ersingen. |
| Für Euch Gut und Blut! |
| Für Euch Dichters heil’ger Mut!
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Eva | mit großer Wärme: |
| Mein Herz, sel’ger Glut, |
| für Euch liebesheil’ge Hut!
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Magdalene | Schnell heim, sonst geht’s nicht gut!
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David | der Walther verwunderungsvoll gemessen: |
| Gleich Meister? Oho! Viel Mut! |