Meistersinger 1. Aufzug 3. Szene 5

Sachs der vom Beginne an Walther mit wachsendem Ernst zugehört hat, schreitet vor:
Halt Meister! Nicht so geeilt!
Nicht jeder Eure Meinung teilt.
Des Ritters Lied und Weise,
sie fand ich neu, doch nicht verwirrt;
verließ er unsre Gleise,
schritt er doch fest und unbeirrt.
Wollt Ihr nach Regeln messen,
was nicht nach Eurer Regeln Lauf,
der eig’nen Spur vergessen,
sucht davon erst die Regeln auf!

BeckmesserAha, schon recht! Nun hört Ihr’s doch:
den Stümpern öffnet Sachs ein Loch,
da aus und ein nach Belieben
ihr Wesen leicht sie trieben.
Singet dem Volk auf Markt und Gassen;
hier wird nach den Regeln nur eingelassen!

SachsHerr Merker, was doch solch ein Eifer?
Was doch so wenig Ruh’?
Eu’r Urteil, dünkt mich, wäre reifer,
hörtet Ihr besser zu.
Darum, so komm’ ich jetzt zum Schluß,
daß den Junker man zu End’ hören muß.

BeckmesserDer Meister Zunft, die ganze Schul’,
gegen den Sachs da sind wir Null.

SachsVerhüt’ es Gott, was ich begehr’,
daß das nicht nach den Gesetzen wär’!
Doch da nun steht geschrieben:
«Der Merker werde so bestellt,
daß weder Haß noch Lieben
das Urteil trübe, das er fällt» –
Geht der nun gar auf Freiersfüßen,
wie sollt’ er da die Lust nicht büßen,
den Nebenbuhler auf dem Stuhl
zu schmähen vor der ganzen Schul’?
Walther flammt auf.

NachtigallIhr geht zu weit!

KothnerPersönlichkeit!

PognerVermeidet, Meister, Zwist und Streit!

BeckmesserEi, was kümmert doch Meister Sachsen,
auf was für Füßen ich geh?
Ließ er doch lieber Sorge sich wachsen,
daß mir nichts drück’ die Zeh’!
Doch seit mein Schuster ein großer Poet,
gar übel es um mein Schuhwerk steht.
Da seht, wie’s schlappt und überall klappt!
All seine Vers’ und Reim’ ließ ich ihm gern daheim,
Historien, Spiel’ und Schwänke dazu,
brächt’ er mir morgen die neuen Schuh’!

Sachs kratzt sich hinter den Ohren:
Ihr mahnt mich da gar recht:
doch schickt sich’s, Meister, sprecht,
daß, find’ ich selbst dem Eseltreiber
ein Sprüchlein auf die Sohl’,
dem hochgelahrten Herrn Stadtschreiber
ich nichts drauf schreiben soll?
Das Sprüchlein, das Eu’r würdig sei,
mit all meiner armen Poeterei
fand ich noch nicht zur Stund’;
doch wird’s wohl jetzt mir kund,
wenn ich des Ritters Lied gehört:
drum sing’ er nun weiter ungestört!
Walther steigt in großer Aufregung auf den Singstuhl und blickt stehend herab.

BeckmesserNicht weiter! Zum Schluß!

Ortel nacheinander:
Genug!

ZornZum Schluß!

KothnerGenug! Zum Schluß.

Sachs zu Walther:
Singt dem Herrn Merker zum Verdruß!

BeckmesserWas sollte man da noch hören?
Wär’s nicht Euch zu betören?
Er holt aus dem Gemerk die Tafel herbei und hält sie während des Folgenden, von einem zum andern sich wendend, zur Prüfung den Meistern vor.

WaltherAus finst’rer Dornenhecken
die Eule rauscht’ hervor,
tät’ rings mit Kreischen wecken
der Raben heis’ren Chor:

BeckmesserJeden Fehler groß und klein
seht genau auf der Tafel ein.

Die Meister ohne Sachs und Pogner:
Jawohl, so ist’s!

Waltherin nächt’gem Heer zu Hauf
wie krächzen all’ da auf
mit ihren Stimmen, den hohlen,
die Elstern, Kräh’n und Dohlen!

Beckmesser«Falsch Gebänd», «unredbare Worte»,
«Klebsilben», hier «Laster» gar;

Die Meister ohne Sachs und Pogner:
Ich seh’ es recht!
Mit dem Herrn Ritter steht es schlecht.
Mag Sachs von ihm halten, was er will,
hier in der Singschul’ schweig’ er still!

Sachs beobachtet Walther entzückt:
Ha, welch ein Mut!
Begeisterungsglut! –

WaltherAuf da steigt
mit gold’nem Flügelpaar
ein Vogel wunderbar:
sein strahlend hell Gefieder
licht in den Lüften blinkt;

Beckmesser«Äquivoca», «Reim am falschen Orte»,
«verkehrt», «verstellt» der ganze Bar;
ein «Flickgesang» hier zwischen den Stollen;

PognerJawohl, ich seh’s, was mir nicht recht:
mit meinem Junker steht es schlecht!

Die Meister ohne Sachs und Pogner:
Bleibt einem jeden doch unbenommen,
wen er sich zum Genossen begehrt!

SachsIhr Meister, schweigt doch und hört!

Waltherschwebt selig hin und wider,
zu Flug und Flucht mir winkt.
Es schwillt das Herz
vor süßem Schmerz,

PognerWeich’ ich hier der Übermacht,
mir ahnet, daß mir’s Sorge macht.

Die Meister ohne Sachs und Pogner:
Wär’ uns der erste best’willkommen,
was blieben die Meister dann wert?

Sachs inständig:
Hört, wenn Sachs Euch beschwört!

Beckmesser«blinde Meinung» allüberall;

SachsHerr Merker da, gönnt doch nur Ruh’!

Beckmesser«unklare Wort’», «Differenz»,
hier «Schrollen»,
da «falscher Atem», hier «Überfall».

Waltherder Not entwachsen Flügel;
es schwingt sich auf
zum kühnen Lauf,
aus der Städte Gruft
zum Flug durch die Luft,
dahin zum heimischen Hügel;

SachsLaßt and’re hören, gebt das nur zu!
Umsonst! All eitel’ Trachten!
Kaum vernimmt man sein eig’nes Wort!

BeckmesserGanz unverständliche Melodei!
Aus allen Tönen ein Mischgebräu!

SachsDes Junkers will keiner achten.
Das nenn’ ich Mut, singt der noch fort!

PognerWie gern säh’ ich ihn angenommen,

Waltherdahin zur grünen Vogelweid’,
wo Meister Walther einst mich freit’;
da sing’ ich hell und hehr
der liebsten Frauen Ehr’;

David sind von der Bank aufgestanden und nähern sich dem Gemerk, um welches sie einen Ring schließen und sich zum Reigen ordnen:
Glück auf zum Meistersingen,
mögt Ihr Euch das Kränzlein erschwingen!
Sie fassen sich an und tanzen im Ringe immer lustiger um das Gemerk.

BeckmesserScheutet Ihr nicht das Ungemach,
Meister, zählt mir die Fehler nach!

Die Meister ohne Sachs und Pogner:
Hei wie sich der Ritter da quält!

Pognerals Eidam wär’ er mir gar wert;

SachsDas Herz auf dem rechten Fleck:
ein wahrer Dichter-Reck’!

Waltherauf dann steigt,
ob Meister-Kräh’n ihm ungeneigt,
das stolze Minnelied. –

DavidDas Blumenkränzlein aus Seiden fein
wird das dem Herrn Ritter beschieden sein?

BeckmesserVerloren hätt’ er schon mit dem acht’:
doch so weit wie der hat’s noch keiner gebracht!

Pognernenn’ ich den Sieger jetzt willkommen,
wer weiß, ob ihn mein Kind erwählt?

Die Meister ohne Sachs und Pogner:
Der Sachs hat ihn sich erwählt! –
Lachend.
Hahaha!

SachsMach’ ich, Hans Sachs, wohl Vers’ und Schuh’,
ist Ritter der und Poet dazu.

Die Meister ohne Sachs und Pogner:
’s ist ärgerlich gar!
Drum macht ein End’!

BeckmesserWohl über fünfzig, schlecht gezählt!
Sagt, ob Ihr Euch den zum Meister wählt?

PognerGesteh ich’s, daß mich das quält,
ob Eva den Meister wählt!

Die Meister ohne Sachs und Pogner:
Auf, Meister, stimmt
und erhebt die Händ’!
Die Meister erheben die Hände.

WaltherAde, Ihr Meister, hienied’!

BeckmesserNun, Meister, kündet’s an!

Die Meister ohne Sachs und Pogner:
Versungen und vertan!
Er verläßt mit einer stolzen verächtlichen Gebärde den Stuhl und wendet sich rasch zum Fortgehen. Alles geht in Aufregung auseinander; lustiger Tumult der Lehrbuben, welche sich des Gemerks des Singstuhls und der Meisterbänke bemächtigen, wodurch Gedränge und Durcheinander der nach dem Ausgange sich wendenden Meister entsteht. Sachs, der allein im Vordergrunde geblieben, blickt noch gedankenvoll nach dem leeren Singestuhl, als die Lehrbuben auch diesen erfassen. Während Sachs mit humoristisch-unmutiger Gebärde sich abwendet, fällt der Vorhang.